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Vorwort
nur eine schlechte Geographie, die den Faktor Zeit vernachlässigt, wird Europa als ein Gebilde mit festgelegten Konturen betrachten. Diese nämlich haben sich immer wieder verändert. Und nur eine Geschichtsschreibung, die ihre eigenen Prinzipien vergißt, wird Europa einen einzigartigen, stets gleichbleibenden Inhalt zuordnen, sei er religiöser, rechtlicher, ökonomischer, ethischer oder kultureller Natur. Denn Europa hatte immer vielfältige, unterschiedliche, bisweilen einander ausschließende Inhalte, deren spezifische Gewichte, Erscheinungsformen und Auswirkungen sich in Zeit und Raum wandeln.
Die Geschichte Europas ist die Geschichte seiner Grenzen. Und seiner Inhalte, die ihm durch Taten und Worte aufgezwungen wurden. Es ist auch die Geschichte derjenigen Kräfte, die! -- bewußt oder unbewußt — auf die Vereinigung eines ursprünglich zerstückelten Raums hingearbeitet haben; wie auch derer, die, in die Gegenrichtung wirkend, zerstörten, was jene geschaffen hatten. Es ist also eine Geschichte der Konflikte. Der Konflikte zwischen Europa und dem, was es von außen her zusammenhielt, ja zusammenpreßte. Und des innereuropäischen Konflikts zwischen den zu Einheit und Uniformisierung drängenden Tendenzen und jenen, die auf Spaltung und Teilung abzielten. Dies ist die Perspektive, unter welcher die in diesem Buch zusammengetragenen Fakten ausgewählt wurden.
Meine erste Begegnung mit Europa ereignete sich im April oder Mai 1946. Ein aus dem Norden Kasachstans kommender Konvoi von Viehwaggons — die für den Transport von Menschen umgebaut worden waren — überquerte die Wolga. Langsam rollte der Zug über eine gerade wiederhergestellte Brücke. Die Erwachsenen waren ganz ergriffen. Irgend jemand sagte: »Jetzt sind wir endlich in Europa!« Ich aber begriff, daß wir soeben eine wirkliche Grenze passiert hatten, obwohl doch diejenige der UdSSR, die weit schwieriger zu überwinden war, noch einige Tagesreisen vor uns lag.
Europa, so wie ich es in Warschau, meiner Geburtsstadt, entdeckte, war nichts als ein Ruinenfeld. Erst Prag, wohin ich wenig später mit einer Ferienkolonie kam, vermittelte mir einen Eindruck von Stadt, wie er meinen vagen Kindheitserinnerungen an das Warschau der Vorkriegszeit entsprach: die Neonbeleuchtung am Wenzelsplatz, ein lebhafter Autoverkehr, die Schaufenster voller Dinge, von denen ich nicht einmal wußte, daß es sie gab. Später war ich in Brüssel. Dann wieder lange Zeit in Warschau. Seit sechzehn Jahren lebe ich jetzt in Paris. Und als Historiker beschäftige ich mich mit der sozialkulturellen Geschichte Frankreichs, Polens und Italiens; gelegentlich auch anderer Länder. Europa ist für mich biographische Gegebenheit und intellektuelles Abenteuer zugleich.
Mit diesem Buch soll der Versuch unternommen werden, die Geschichte Europas im Überblick darzustellen. Es will nicht ins Detail gehen, sondern eine Gesamtansicht geben und die Fakten so aufbereiten, daß sie verständlich werden. Deshalb sind die Personennamen auf ein striktes Minimum beschränkt, und aus diesem