Evidence-Based Medicine Januar/Februar 1997 [antikvár]

EDITORIAL Wofür steht Evidence-Based Medicine? Bei vielen medizinischen Gesetzmäßigkeiten müssen wir uns auf die Beschreibung von Phänomenen beschränken, ohne sie erklären zu können. Das Erkennen von Gesetzmäßigkeiten aus wiederkehrenden Beobachtungen und die Beschreibung dieser Gesetzmäßigkeiten macht die klinische Medizin - im Gegensalz zut Grundlagenforschung - zur Erfahrungswissenschaft. Je systematischer die Beobachtungen untersucht sind, um so geringer wird das Risiko, ein zufällig auftretendes Phänomen zum Regelfall zu erklären. Jeder, der mit kranken Menschen umgeht, hat den Fall zu berichten, bei dem die unerwartete Wende zum Guten eingetreten ist. Der sorfgältig Arbeitende nimmt diese Beobachtung zum Anlaß, eine systematische Untersuchung an gleichartigen Kranken vorzunehmen, der Quacksalber leitet aus der zufälligen Beobachtung den Regelfall ab - und handelt danach. Evidence-Based Medicine lehrt, wie Irrtümer und falsche Schlußfolgerungen in Diagnostik, Prävention, Therapie und Rehabilitation vermieden werden können. Zur Evidence-Based Medicine gehört beides, die individuelle klinische Erfahrung des Arztes und das Ergebnis systematischer klinischer Forschung. Die Synthese aus beiden ist eine solide Grundlage medizinischer Entscheidungsfindung. Evidence-Based Medicine bemüht sich in erster Linie um Informationen, die für die praktische Krankenversorgung benötigt werden. Diese Informationen können die Therapie betreffen, für die Evaluation diagnostischerTests geeignet sein, prognostische Bedeutung haben oder für die allgemeine Gesundheitsversorgung oder ökonomische Analysen benötigt werden. Die randomisierte Studie ist nicht die einzige Methode, die für die Leistungen der Evidence-Based Medicine benötigt wird: Um die Richtigkeit eines diagnostischen Tests zu bestimmen, sollten gute cross-sektionelle Studien (Querschnitt-Studien; Studienpatienten mit und ohne die gesuchte Diagnose) vorliegen. Zur Bestimmung prognostischer Faktoren sind gute Längsschnitt-Untersuchungen nötig, bei denen die Patienten zu einem einheitlichfrühen Zeitpunkt ihrer Erkrankung in die Studie aufgenommen und Uber einen längeren Zeitraum verfolgt werden. Andere klinische Informationen können aus den Fächern der Genetik oder der Immunologie abgeleitet sein. Evidence-Based Medicine ist schließlich der Titel für eine neue Zeitschrift, die seit einem Jahr in englischer Sprache erfolgreich publiziert wird und mit dem vorliegenden Heft in deutscher Sprache startet. Evidence-Based Medicine ist eine Sekundär-Zeitschrift, die drei wesentliche Ziele verfolgt: - Der praktizierende Arzt benötigt Hilfe, aus der großen Zahl wissenschaftlicher Arbeiten jene herauszufm-den, die er für die Patientenversorgung kennen sollte. Dazu wählt die Zeitschrift Evidence-Based Medicine in zweimonatlichen Abständen die 30 wichtigsten Arbeiten aus ca. 80 international renommierten Zeitschriften aller medizinischen Fachgebiete aus. - Diefür das Verständnis der Arbeit notwendigen Daten werden in leicht lesbarer Form angeboten. Dazu muß diese Information kurz gehalten, nach einem wiederkehrenden Prinzip geordnet und verständlich sein (= strukturiertes Abstract). Dieser Anspruch ist nur zu erreichen, wenn der Arzt die Information in seiner Sprache angeboten bekommt. Gemeint ist damit nicht nur die Muttersprache, sondern auch die erlernte und praktizierte Fachsprache. Evidence-Based Medicine versteht sich als Bindeglied zwischen Forschung und Praxis - deshalb die zahlreichen Erklärungen und manchmal stilistischen Einschränkungen zugunsten der Klarheit. - Die Zeitschrift Evidence-Based Medicine löst ein weiteres Problem, das für den epidemiologisch nicht spezialisierten Arzt nur mit großem Zeitaufwand zu bewältigen ist: Sie gewährleistet den Qualitätsanspruch, nur Zusammenfassungen von Arbeiten zu präsentieren, deren Aussagen zutreffend und verläßlich sind. Jedem Abstract wird eine wissenschaftliche »Zweitmeinung« als Kommentar eines klinischen E.Kperten angefügt. In der deutschen Ausgabe von Evidence-Based Medicine kann zusätzlich die Originalarbeit über den EBM-Sonderdruckservice (Bestellschein am Ende des Heftes) angefordert werden. Mit ihrem Konzept reiht sich die Zeitschrift Evidence-Based Medicine in internationale Bemühungen um mehr Transparenz im Gesundheitssystem ein. Eine Medizin nach den Vorschlägen der Evidence-Based Medicine wird nicht einfach umzusetzen sein, weil wir nicht gewohnt sind, die aus der Forschung kommenden diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen mit wissenschaftlichen Methoden zu hinterfragen. Die kommenden Jahre werden in der Medizin von Untersuchungen geprägt sein, deren Ziel der Nachweis der Wirksamkeit - und auch des Nutzens aus der Sicht des Patienten - ist. Evidence-Based Mcdicine möchte einen Beitrag leisten, diese Denkweise auch unter Ärzten in Deutschland zu verbreiten. P Die Herausgeber S-