Jüdische Welt [antikvár]

VORWORT Die Geschichte der Juden ist zwar nur ein dünner Faden im Knäuel der Menschheitsgeschichte, doch hat sie weit hinausgewirkt über den engen Bereich des Volkes Israel selbst. Die Juden sind niemals ein großes oder mächtiges Volk gewesen, aber sie wurden immer wieder hineingerissen in die historischen Geschehnisse. Heute, unter dem Eindruck des nationalsozialistischen Infernos und angesichts der Ereignisse im Nahen Osten, ist dieses Hineingezogensein in die Weltgeschichte nur allzu offensichtlich. Die Juden wirkten oft als Außenseiter unter den Nationen, was zu vielen falschen Vorstellungen über sie Anlaß gegeben hat. Absicht des vorliegenden Werkes ist es, eine möglichst objektive Beschreibung der Juden zu liefern: wer sie sind und wie sie wurden, was sie heute sind. Mir ist kein anderer Atlas bekannt, in dem dies angestrebt worden wäre, und so mußte ich, in Ermangelung eines Vorbildes, meine eigene, gewiß kritisierbare, Darstellungsweise wählen. Das Buch gliedert sich in drei Abschnitte, die in unterschiedlicher Art an das Thema »Jüdische Welt« herangehen. Der erste Teil bietet einen historischen Zugang; im Vordergrund stehen die Bevölkerungsbewegungen, die die schwankende Grundlage jüdischer Existenz gebildet haben, sowie die politischen und sozialen Bedingungen, die diese Wanderungen auslösten und ihre Richtung bestimmten. Der zweite Teil besteht aus einer Reihe allgemeiner gehaltener Essays über verschiedene Aspekte jüdischen Daseins; der dritte Teil schließlich ist eine Art Reiseführer durch die jüdischen Gemeinden der modernen Welt. Ich habe mich in diesem Abschnitt bemüht, nicht nur trockenes Zahlen- und Faktenmaterial zu liefern, sondern auch die lokalen Bedingungen zu würdigen, die jeder einzelnen dieser Gemeinden ein unverwechselbares Gepräge verleihen. Die drei Teile hängen miteinander zusammen, können aber auch separat und in beliebiger Reihenfolge gelesen werden. Da es sich bei diesem Buch um einen Atlas handelt, liegt das eigentliche Schwergewicht bei den Karten. So konnte im Text auf viele Einzelheiten verzichtet werden, die in den Karten dargestellt sind. Gelegentlich mag der Text wehmütig, ja pessimistisch wirken. Das ist kaum verwunderlich. Die jüdische Erfahrung war oft alles andere als glücklich, und obwohl wir Juden jüngst eine der dunkelsten Epochen unserer Geschichte überstanden haben, besteht noch mancherlei Grund zur Besorgnis. Jeder Versuch, die Lage des heutigen Judentums zu beurteilen, ist notgedrungen subjektiv. Mein eigener Standpunkt als engagierter Jude gründet sich auf den Glauben und auf Optimismus. Aber ich hätte meinen Lesern sicherlich einen schlechten Dienst erwiesen, wäre ich über die unbestreitbar vorhandenen Zweifel und Enttäuschungen hinweggegangen. Vor 50 Jahren wäre das Gesamtbild zwar unvergleichlich viel düsterer ausgefallen, als es gegenwärtig der Fall ist. Doch wenn auch auf der materiellen Ebene jetzt eher Anlaß zur Zuversicht besteht, sind in religiöser und psychologischer Hinsicht die Aussichten alles andere als rosig. Alle Urteile, die ich im folgenden über die zeitgenössische Situation des Judentums abgebe, gründen sich auf nachweisbare Tatsachen und auf meine eigenen Erfahrungen mit jüdischen Menschen und Einrichtungen. Nicht jeder wird sich meiner Bilanz anschließen. Ich kann nur sagen, daß ich hocherfreut wäre, sollten sich meine pessimistischen Einschätzungen als falsch erweisen. Ich hätte dieses Buch nicht ohne die Hilfe anderer schreiben können, denen ich an dieser Stelle meinen Dank abstatten möchte. An erster Stelle muß ich drei meiner Lehrer nennen: Ignaz Maybaum, James Parkes und Cecil Roth. Alle drei haben mich, jeder auf seine Weise, gelehrt, die jüdische Vergangenheit zu interpretieren, und sie alle haben spezifische Beiträge zu diesem Werk geleistet. Wertvolle Einsichten vermittelte mir auch Alexander Scheiber; ihm und seinem Stab vom Jüdischen Theologischen Seminar Ungarns bin ich darüber hinaus für die liebenwürdige Gastfreundschaft verbunden. Peter Brown, der mich entgegenkommenderweise bei der Textredaktion beriet, steuerte durchdachte Kritik und gute Ratschläge bei. Ein unerforschliches Geschick hat uns vor vielen Jahren unter seltsamen Umständen zusammengeführt, und er mag erstaunt sein, zu erfahren, wie viel er mir seither gegeben hat. Danken möchte ich femer Susan Skilliter für ihren Rat bei allem, was das Osmanische Reich betraf, besonders bei der Auswahl der Illustrationen, sowie vielen anderen Freunden und Kollegen, die (vielleicht oft, ohne es zu wissen) Informationen und nützliche Anregungen lieferten. Erwähnt sei auch Michael Neuberger, der mir bereitwillig Bücher lieh und bei Bedarf launige Kommentare abgab. Eine besondere Dankesschuld habe ich bei Michael Stewart abzutragen - einfach dafür, daß er bei verschiedenen Gelegenheiten für mich da war, als ich ihn brauchte. Mein innigster Dank jedoch gilt meiner Lebensgefährtin Patricia. Ohne ihren Zuspruch hätte ich das Werk nicht vollenden können. Ich habe es für sie geschrieben und für meine zwei Kinder: um ihnen etwas darüber mitzuteilen, woher wir alle kommen und was es bedeutet, heutzutage Jude zu sein.