Maigret und der Weinhändler [antikvár]

»Du hast sie getötet, um sie zu bestehlen, nicht wahr?« »Ich wollte sie nicht töten. Der Beweis dafür ist, daß ich nur eine Kinderpistole hatte.« »Wußtest du, daß sie viel Geld hatte?« »Ich wußte nicht, wieviel. Sie hatte ihr Leben lang gearbeitet und mußte mit zwei- oder dreiundachtzig Jahren Ersparnisse haben.« »Wie oft bist du zu ihr gegangen, um sie um Geld zu bitten?« »Ich weiß nicht. Mehrmals. Wenn ich sie besuchte, wußte sie gleich, warum. Sie war meine Großmutter und gab mir automatisch fünf Francs. Ist Ihnen klar, daß man, wenn man arbeitslos ist, mit fünf Francs kaum etwas anfangen kann?« Maigret war ernst und ein wenig traurig. Es war eine banale Affäre. Das jämmerliche Verbrechen, wie es fast jede Woche passiert. Der Junge von noch nicht zwanzig Jahren, der eine alleinstehende alte Frau überfällt, um sie zu berauben. Bei Theo Stiernet war nur der Unterschied, daß das Opfer seine Großmutter war. Er war viel ruhiger, als man hätte annehmen können, und beantwortete willig jede Frage. Er war ein ziemlich fetter, wabbeliger Bursche mit einem runden Gesicht fast ohne Kinn, hervorquellenden Augen und dicken Lippen, die so rot waren, daß sie auf den ersten Blick wie geschminkt wirkten. »Fünf Francs wie einem Kind, das sich sein Sonntagsgeld holt!« »Ist ihr Mann tot?« »Schon fast vierzig Jahre. Sie hatte lange ein kleines Kurzwarengeschäft an der Place Saint-Paul. Erst in den letzten zwei Jahren ging es nicht mehr gut, und sie hat es aufgeben müssen.« »Und dein Vater?« »Er ist in Bicetre bei den Verrückten.« »Hast du noch eine Mutter?« »Ich lebe schon lange nicht mehr mit ihr zusammen. Sie ist immer betrunken.« »Hast du Geschwister?« »Eine Schwester. Sie ist mit fünfzehn Jahren von zu Hause fort, und man weiß nicht, was aus ihr geworden ist.«