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Deutschland heute
Wer heute nach Deutschland, in die Bundesrepublik Deutschland, kommt, ob als Fremder zum erstenmal oder aus längst vertrauter Gewohnheit, gleichviel - er spürt sogleich: Dieses ist ein sehr lebendiges Land. Es denkt und trachtet im Heute. Es nimmt sich so wie es ist und seine Nachbarn so wie sie sind. Das war nicht immer so, und es ist eine gute Sache. Heißt das vielleicht, daß man hierzulande mithin nur für das Heute lebt, mit seiner Industrie und seiner Wirtschaft, seiner Wissenschaft und Technologie, seinem Städtebau, seiner Kunst. Literatur, Musik, die Vergangenheit nicht kennt, um die Zukunft sich nicht schert? Wenn der erste Blick einen solchen Eindruck gibt, dann ist es gut, einen zweiten zu tun. Dieses Land hat eine Vergangenheit, und eine Zukunft hat es wohl auch, und mit beiden ist es hierzulande ein wenig anders bestellt als jenseits der deutschen Grenzen, Es ist noch kein Menschenalter her, da wurde dieses Land in eine so unmäßige Zukunft gestürzt, daß daraus eine abscheuliche Vergangenheit wurde. Wahr ist aber auch, daß es sich sehr genau und gewissenhaft mit dieser Vergangenheit befaßt hat, und das hat ihm Schritt für Schritt ein Heute erbracht, in dem es leben kann und andere mit ihm leben können: seiner selbst einigermaßen sicher, seiner Freunde einigermaßen gewiß.
Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, prägte ein großer, weltberühmter Deutscher, Thomas Mann, ahnungsvoll das Wort vom >Vorsprung des Besiegten< und nneinte damit: Wer aller Habe, alles Mitgebrachten an materiellem und geistigem Gepäck gründlich entledigt ist, der vermag iDesser neu anzufangen, steht der gegenwärtigen Welt, ihren neuen Ideen und Vorstellungen, Erfordernissen und Möglichkeiten aufgeschlossen, aufnahmewillig, verwirklichungsfreudig gegenüber. Wer heute nach Deutschland kommt, wird alsbald gewahr werden, ob dieser Vorsprung genützt, wo und wie er genützt worden ist. Das sehe er selbst in den großen Städten des Landes, die es so. wie sie heute dastehen, vor fünfundzwanzig Jahren überhaupt nicht gab. Zuweilen allerdings sind sie - wie das uralte Nürnberg - so funkelnagelneu, so liebevoll genau und so gewissenhaft richtig aus einem Trümmerhaufen wiederhergestellt, daß man meinen möchte. Vergangenheit und Gegenwart seien ein und dasselbe.
Man muß, man soll in Deutschland ein wenig auf und ab und hin und her fahren und wird eine andere Seite dieser Gegenwärtigkeit erkennen. Man bemerkt, daß überall in Deutschland heute so vieles Achtung und Beachtung verdient, und das mag seinen guten Grund darin haben, daß dieses Land anders als seine Nachbarn ohne Mitte oder Mittelpunkt auskommen muß und diesen Mangel sehr zu seinem Vorteil nützt. Die Bundesrepublik Deutschland hat wohl eine Stadt mit einem Regierungssitz, aber sie hat keine große Hauptstadt, die alle Energien
und Ideen des Landes an sich reißt und zusammenfaßt, um sie alsdann wieder zurückzustrahlen. Deutschland besitzt auf Grund seiner bundesstaatlichen Struktur kein solches Strahlungszentrum und folglich keine vergessene, vernachlässigte, abseits gelegene Provinz. Es fängt überall, wohin man kommt, neu und anders und überraschend an; es besitzt so viele Brennpunkte und Zentren, wie es Landschaften besitzt, die alle ihre besondere Gegenwart im Gesicht tragen und von überallher nach überallhin ausstrahlen mit dem, was sie an wirtschaftlicher und kultureller, an politischer und sozialer, vor allem aber an geistiger, künstlerischer und wissenschaftlicher Energie zu geben haben. Deshalb überlege man nicht, wie man anderwärts überlegt: Wo fängt dieses Land an, von wo geht es aus. Man überlege, was einen interessiert, und sehe nach, wo es zu finden ist. Fast könnte man sagen: Es ist alles überall; und überall lebendig und gegenwärtig.
Stuttgan, Kleiner Schloßplatz Plastik von H. 0. Hajek