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DER PROPHET
Er hatte wenig Freunde; sie ließen sich an den Fingern beider Hände abzählen. Seine Anhänger und Bewunderer dagegen waren zahlreich, seine Feinde Legion. Selten ist ein Mann so gehaßt worden wie Walther Rathenau, und selten hat einer so wenig Haß verdient wie er. Nicht immer galt dieser Haß dem Zwiespalt seines Charakters und seiner bürgerlichen Existenz. In dem Haß seiner Mörder zum Beispiel steckte ein gut Teil Hochachtung, vielleicht sogar enttäuschte Liebe: «Dieser Mann ist gefährlich. In seine Hand ist mehr gelegt, als je in eine Hand seit dem November 18. Wenn zu einem Manne das Schicksal mit seiner leidenschaftlichen Forderung kam, dann ist es dieser Mann. Er hat die bitterste Kritik der Menschen und Mächte seiner Zeit geschrieben Er ist ihre reifste, letzte Frucht, in sich vereinigend, was seine Zeit an Wert und an Gedanken, an Ethos und an Pathos, an Würde und an Glaube in sich barg. Er sah, was keiner sah, und forderte, was keiner forderte.»1 *
Es war Erwin Kern, der Mörder Rathenaus, ein ehemaliger Offizier der kaiserlichen Marine, der diese Sätze sprach. Kaum 25 Jahre alt, ohne Aussicht auf eine weitere Laufbahn wie ein steuerloses Schiff dahintreibend, identifizierte Kern sein junges Schicksal mit dem des deutschen Volkes nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg:
«Ich könnte es nicht ertragen, wenn aus dem zerbröckelnden, aus dem verruchten Bestände dieser Zeit noch einmal Größe wüchse Was geht das uns an, die wir um höhere Dinge fechten. Wir fechten nicht, damit das Volk glücklich werde. Wir fechten, um es in seine Schicksalslinie zu zwingen. Aber wenn dieser Mann dem Volke noch einmal einen Glauben schenkte das ertrüge ich nicht Das Blut dieses Mannes soll unversöhnlich trennen, was auf ewig getrennt sein muß.»2
Jeder Satz war hohle Phrase. Und bewußte Lüge, mit der er seine jüngeren Freunde bluffte.
Für Erwin Kern war Rathenau ein «Katastrophenpolitiker», getreu dem von den Deutschnationalen, deren Führer den Krieg verloren hatten, lauthals kolportierten Schlagwort: «Erfüllungspolitik - Katastrophenpolitik». Oder konnten sie es nicht ertragen, daß ein Jude das deutsche Volk nach dem verlorenen Krieg wieder «glücklich» machen wollte und Voraussetzungen dafür mitbrachte wie kein anderer deutscher Politiker? Vielleicht störte es sie, daß dieser Walther Rathenau «Großkapitalist» war? Daß er ihrer jungenhaften, trotzigen Meinung nach sein Werk verleugnete? Hatte er nicht am 22. Mai 1921, kurz bevor er Wiederaufbauminister wurde, gegen die Vergewaltigung Oberschlesiens protestiert und dabei die Verse Schillers aus «Wilhelm Teil» zitiert:
* Die hochgestellten Ziffern verweisen auf die Anmerkungen S. 145 f.