Deutschland [antikvár]

THEODOR HEUSSWanderung durch deutsches SchicksalWenn man beginnt, die deutschen Dinge zu überdenken, die volkhaften Voraussetzungen in dem Stammesreichtum, die wechselvolle Dehnung der Außengrenzen, die immerhin, wenn auch mit ungleicher Kraft und Wirkung, einen gemeinsamen geschichtlichen Rechtsanspruch umschloß, die vielfarbige innere Aufgliederung in ständische Autonomien, von den Kurfürstentümern bis zu Reichsstädten, Reichsdörfern, Reichsabteien, dann ist es wohlgetan, Putzgers alten redlichen historischen Schulatlas sich an die Seite zu holen. Er stand immer, durch ein langes Leben, erwartungsvoll zum Dienst bereit, im benachbarten Büchergestell. Er erzählt so gern. Doch dies besorgte er, wenigstens in den alten Auflagen meiner Kindheit, auf eine ganz einfache Weise, indem er statisch gewordene Tatbestände, in den gemäßen Zeitabschnitten, aufzeigt. Natürlich wird das Ergebnis in der Beurteilung des Betrachters höchst verschieden sein. So viel in dem europäischen Bereich gehörte also dann und dann, von den Karolingern über die Sachsen, von den Staufern bis zu den Luxemburgern und Habsburgern zum Herrschaftsbereich oder doch -anspruch deutscher Kaiser daß solche Ausweitung in den wesentlichen Elementen aus Heirat und Erbrecht folgte und kriegerischer Einsatz nicht so sehr der Eroberung als der Verteidigung von Erbgut galt, wird im Bewußtsein nicht, heute nicht mehr veranschlagt. Immerhin hat es für den Besucher etwas Ergreifendes, in Italien, in Rom, Palermo, Pisa, vor den Grabstätten von vier deutschen Kaisern zu stehen.Entscheidung zwischen Glaube und HeimatEs ist jetzt bald hundert Jahre her, da zwei in ihrer Zeit führende Historiker, Julius von Ficker und Heinrich von Sybel, einen sozusagen wissenschaftlichen Streit ausfochten, ob der Universalismus des mittelalterlichen Kaisertums die Bekrönung einer deutschen Aufgabe darstellte, ob er ein Kräfte verschwendender Irrweg war: Was hatten denn die Deutschen am Mittelmeer verloren, da ihre Aufgabe, wenn sie schon eine vor sich sahen, nördlich der Alpen, zumal an den östlichen Grenzen, zu suchen war?Das Wort von der unbewältigten Vergangenheit, das unsere Gegenwart bedrängt, im Blick auf die Bismarcksche, die Wilhelminische, die Hitlerische Epoche und ihre Bewertung, war damals noch nicht erfunden, aber offenbar für das Bedürfnis der Geschichtsklärung vorhanden, auch wenn man die Vergangenheit in die Unverbindlichkeit alter Jahrhunderte zurückverlegte. Das ist Romantik, im einzelnen geistreich und anregend. Aber kaum etwas ist unserer Gegenwart weniger erlaubt als romantisches Herumschweifen, um längst verjährte Geschichtsdaten zu aktueller Feierlichkeit zu beschwören. Denn dieser Gegenwart ist Nüchternheit gemäß.Wozu aber dann die Berufung auf solche wechselreiche politische Geographie, die, auch wenn sie nicht zu solchem Zweck, sondern zur einfachen Unterweisung gezeichnet und vielfarbig bemalt wurde, doch offenbar die Phantasie anregt. Die historischen Kartenbilder geben uns Glanz und