Brehms Tierleben in Vier Bänden II. (töredék) [antikvár]

CHORDATIERE Chordata Der letzte groBe Tierkreis führt den etwas ungewohnten Namen Chordatiere, der zunachst ebenso unverstándlich ist wie die verdeutschende Bezeichnung ,,Rückensaitentiere". Wir werden aber gleich sehen, worum es sich handelt, und daG man dieser groBen Tiergruppe ihren recht wissenschaftlich anmutenden Namen belassen muB. AuBer den am höchsten organisierten Lebewesen, den Wirbeltieren, gehört auch eine Reihe kleinerer und einfacher gebauter Formen zu den Chordatieren. Die Verwandtschaft all dieser Tiere wird erst dadurch deutlich, daB man ihre frühesten Entwicklungsstufen (Embryonalstadien) miteinander vergleicht. Da erkennt man, daB auf der Oberseite der Keime (Embryonen) frühzeitig eine Rinne ausgebildet wird, die sich spáter zum Rückenmark (Neuralrohr) schlieBt. Etwa gleichzeitig entsteht unter der Rinne und dem spateren Rückenmark ein stabförmiges, elastisches Gebilde, die sog. Rückensaite oder Chorda, die nichts anderes darstellt als die einfachste Form eines den Körper in der Lange durchziehenden Achsenskeletts. Bei den primitiveren (niederen) Chordatieren macht diese Chorda tatsachlich oft mehr oder weniger das ganze Skelett aus, bei den Wirbeltieren, den höher entwickelten Chordatieren, bilden sich um die Rückensaite Knorpel- oder Knochenringe aus, die schlieBlich zur Wirbelsaule werden. Dieser für alle Arten dieser Tiergruppe so auBerordentlich kennzeichnende elastische Stáb ist es alsó, der ihr den Namen ,, Chorda tiere" oder ,,Chordaten" verschafft hat. Ein weiteres Kennzeichen aller Chordatiere ist die Lage des Darmrohres: immer liegt der Darm unter der Rückensaite und dem Nervensystem, wahrend z. B. bei den Würmern und den Insekten, wie wir uns erinnern, der Darm über dem Nervensystem liegt. Der Vorderabschnitt des Darmes steht bei den Chordatieren im Dienste der Atmung. Bei den wasserbewohnenden Formen durchbrechen Spalten den Darm hinter dem Schlund. Durch diese Spalten flieBt das mit dem Munde aufgenommene Wasser ab, wobei besondere, als Kiemen bezeichnete Organe Sauerstoff aus dem Wasser aufnehmen und das beim Stoffwechsel entstehende giftige Kohlendioxyd (die Kohlensaure") an das Wasser abgeben. Dieser Gasaustausch zwischen Atemwasser und Blut ist das, was wir als Atmung" bezeichnen. Bei landbewohnenden Chordatieren, z. B. bei den Vögeln und den Sáugetieren, sind die Spalten in der vorderen Darmwand, die sog. Kiemenspalten, noch auf frühen Entwicklungsstufen des Embryos erkennbar, wahrend das fertigentwickelte Tier durch andere, als Lungen bekannte Organe atmet. Die Kiemenspalten des Embryos und die sie umgebenden Teile verschwinden im weiteren Ablauf der Embryonalentwicklung oder beteiligen sich am Aufbau anderer Organe, z. B. des Kehlkopfes. Auch die ursprünglich bei allén Chordaten vorhandene Chorda bildet sich bei vielen Arten im Verlauf der Entwicklung zurück; die Chorda ist dann bei der Larve, aber nicht mehr beim erwachsenen Tier nachweisbar. Immer zeigt uns aber die Keimesgeschichte (Ontogenie), daű alle diese Tiere wegen des Vorhandenseins bestimmter Organanlagen und Baueigentümlichkeiten miteinander verwandt