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Die Republik von Weimar
Umseitig: Linker und rechter Flügel des Triptychons »Großstadt« von Otto Dix (1891-1969). Der Mittelteil dieses Werkes ist als Titelbild dieser DAMALS-Ausgabe gestaltet. Galerie der Stadt Stuttgart
Niemand vermag die Weimarer Republik anders zu sehen als in der Perspektive des Bürgerkrieges, in dem sie zustandekam, der trügerischen Hoffnungen, die sie begleiteten, und der Katastrophe, in der sie endete.* Die erste deutsche Republik hat Hitler nicht verhütet. Sie steht daher bis heute unter Anklage. Ihre theoretischen Verfassungskonstruktionen, ein ungehemmter selbstzerstörerischer Pluralismus, die Zerrissenheit der Parlamente, die Übergewalt des Reichspräsidenten und Ersatzkaisers, das Fehlen zweckmäßiger Vorkehrungen gegen negative Mehrheiten, gegen Regierungssturz und legalen Verfassungsbruch - die Väter des Grundgesetzes, Überlebende jener Welt von gestern, haben der zweiten Republik eine Verfassung gegeben, die nicht begreift, wer Weimar nicht begreift. Es galt, die Gespenster der Vergangenheit, die doch für viele die eigene Vergangenheit war, zu bannen. Solange aber jede Frage nach der Ermöglichung Hitlers politische Fronten der Gegenwart aufreißt, solange bleibt auch die erste Republik im Ganzen wie im Einzelnen unter Verdacht.
* Diesem Aufsatz, der für einen größeren Leserkreis geschrieben wurde, liegt ein für das Abendstudio des Hessischen Rundfunks verfaßtes Manuskript zugrunde.
Das Janusgesicht der deutschen Republik
»Es ist wohl ein Bewußtsein verbreitet: alles versagt; es gibt nichts, das nicht fragwürdig wäre; nichts Eigentliches bewährt sich; es ist ein endloser Wirbel, der in gegenseitigem Betrügen und Sichselbstbetrü-gen durch Ideologien seinen Bestand hat. Das Bewußtsein des Zeitalters löst sich von jedem Sein und beschäftigt sich mit sich selbst. Wer so denkt, fühlt sich zugleich selbst als nichts. Sein Bewußtsein des Endes ist zugleich Nichtigkeitsbewußtsein des eigenen Wesens. Das losgelöste Zeitbewußtsein hat sich überschlagen.«
In solchen Sätzen, unerbittlich in ihrem schwarzen Pessimismus, beschrieb der Heidelberger Philosoph Karl Jaspers im Jahre 1931, am Tiefpunkt der wirtschaftlichen Krise und mitten in der Auflösung der Weimarer Republik, die geistige Situation der Zeit. Das gleichnamige kleine Buch verkaufte sich gut. Mehr als sechs Auflagen erschienen in rascher Folge bis 1933, als die düstere Analyse nicht mehr gefragt war: Zeitdeutung und Zeitdokument. Die geistigen Grundstrukturen der Epoche sind, vergleicht man es mit den politischen Verläufen und den wirtschaftlichen Bedingungen, bis heute nur in Umrissen geklärt.
1961 erschien in der Zeitschrift für Politik ein Aufsatz des Münchner Philosophen Herbert Kuhn, Emigrant von 1936, mit dem Titel: »Das geistige Gesicht der Weima-