Der Weg der grossdeutschen Geschichtsschreibung zum Faschismus [antikvár]

Gyula Tokody DER WEG DER GROSSDEUTSCHEN GESCHICHTS-« SCHREIBUNG ZUM FASCHISMUS Es würde nicht der Wahrheit entsprechen, wollten wir behaupten, daß die sich in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts ausbildende großdeutsche Geschichtsauffassung schon bei ihrer Entstehung die Charakterzüge an sich trug, die sie geeignet machten, achtzig Jahre später ein organischer Bestandteil der faschistischen deutschen Geschichtsschreibung zu werden. Diese Behauptung würde nicht nur die ausgesprochen katholische und aristokratische Anschauungsweise der Großdeutschen in Frage stellen, sondern auch ihre historische Konzeption. Die Idee der unter Führung des Habsburgerreiches stehenden mitteleuropäischen Föderation war ebenso weit entfernt vom total zentralisierten -— auch Österreich miteinbegriffen — faschistischen Nationalstaatideal wie die Verherrlichung der historischen Verdienste der Habsburger bzw. die negative Beurteilung der historischen Rolle der Hohenzollern und Preußens von der faschistischen Geschichtsauffassung, die antimonarchistisch war und sich auf die Rassengleichheit und das Zusammenhalten des Germanentums berief. Zwischen dem Ausgangs- und Endpunkt der großdeutschen Geschichtsschreibung besteht also ein wesentlicher Unterschied, für den wir nur unter Berücksichtigung der gesellschaftlich-politischen Veränderungen von 1871, und mehr noch der nach 1918 eingetretenen Wandlungen eine Erklärung geben können. Die Gebietseroberung der großdeutschen Geschichtsauffassung ist kaum zu erfassen und ihre verhältnismäßig lang andauernde Wirkung kaum zu verstehen, wenn wir nicht die beinahe zur gleichen Zeit auftretende großösterreichische Richtung in Betracht ziehen. Beide Auffassungen waren in vieler Hinsicht — so in der Beurteilung Österreichs und der Habsburger bzw. Preußens und der Hohenzollern — miteinander verknüpft. Der erste bedeutende Schritt im Interesse der Ausbildung dieser großösterreichischen historischen Richtung war die Gründung des berühmten Instituts für österreichische Geschichtsforschung, das die österreichischen herrschenden Kreise nach der Niederschlagung der Revolution von 1848/49 zum Beweis des historischen Zusammengehörens von Großösterreich einrichteten. In der Verordnung, die die Errichtung des Instituts vorschlug, entwarf Joseph Alexander Helfert, der Unterstaatssekretär im österreichischen Unterrichtsministerium, das Programm einer österreichischen Geschichte als Geschichte der Staatenbildung im Donauraum. Nach Helfert wird über die partikularen Auffassungen die Einsicht siegen, daß »Großösterreich eine providentielle Notwendigkeit ist, nicht allein im System des staatlichen Gleichgewichts von Europa, nicht allein als der Verknüpfungs- und Versöhnungsboden west- und osteuropäischer Bildung, nord- und südländischer Sitte, des romano-germanischen und des gräko-slawischen Elements, sondern ebenso sehr im Interesse, zum Heile und Gedeihen jedes einzelnen der verschiedenen Bestandteile, aus denen