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Ich war nicht geboren worden, ich war nicht gestorben. Es hatte mich nie gegeben. Im Geburtenregister der kleinen Kirche, in der ich getauft worden war, fehlte die Seite mit meinem Namen. Ich blätterte vor und zurück. Alle waren sie da, säuberlich in verschnörkelten Buchstaben eingetragen: Antonio Sebastian Casanova, mein Vater, meine Mutter Marianna-Maria geborene Malaspina, mein Bruder Antonio, meine Schwester Vannina. Nur ich fehlte. Die Seite, auf der hätte stehen müssen: Felicine Elisa-Maria Casanova, geboren am 25. Mai 1776, war herausgerissen.
Wer hatte den dokumentarischen Nachweis meiner Existenz in meiner Heimatstadt Corte vernichtet? Hatte mein Bruder Antonio, nachdem ihn Napoleon in den Herzogsstand erhoben hatte, den Schandfleck der Familie ausgemerzt? War das die Rache der Buonaparte?
Es war ein seltsames Gefühl, sozusagen nicht zu sein. Ich hatte das drängende Bedürfnis, mich zu sehen, mir zu bestätigen, daß ich war. Ich sah mich in der kahlen Sakristei um. Es gab keinen Spiegel.
Ich holte meinen goldenen Taschenspiegel aus meinem Ridicule. Er war ein Geschenk des Zaren Alexander, eine kostbare Huldigung für mein Dasein. Ich betrachtete mein Gesicht, umrahmt von Rubinen und Brillanten, die großen, immer noch so lebenshungrigen Augen, die gerade, etwas zu kurze Nase, den vollippigen Mund und die kleinen Ohren, die zum Dank für ihr gutes Gehör mit den berühmten Tropfenperlen Talleyrands geschmückt waren. Das war mein Gesicht, das die Welt kannte, das in London, Wien, Sankt Petersburg und erst recht in Paris geliebt und gefürchtet wurde.
Man konnte mir viel nachsagen, und man sagte mir viel nach, aber daß es mich nicht gab, mit dem vollen Einsatz meiner Person, mit »tete, corps et cour«, das konnte niemand behaupten. Ich war aus eigener Kraft und durch berechnete Schwäche reich, einflußreich und mächtig geworden. Ich hatte mich von einem Lord heiraten lassen. Ich war »the most hon-ourable« Lady St. Eime und gleichzeitig die skandalumwitterte, geheimnisvolle Madame Casanova. Ich hatte zwei und mehr Leben gelebt. Ich hatte geliebt und gehaßt, verschwiegen und indiskret, aber ich hatte nie und nichts vergessen. Ich konnte es nicht dulden, verschwiegen oder vergessen zu sein. Ich rief nach dem Mesner und befahl ihm, mich dem Pfarrer zu melden. »Ich bin nicht gewohnt zu warten«, sagte ich. Er glotzte mich verlegen an. Ein Goldstück machte ihm Beine. Der Pfarrer war uralt, zahnlos und weiß. Ich erkannte ihn sofort. Es war der Abbé Nardi. Er hatte mich getauft. Er hatte meine Geburt in dem dicken Folianten vermerkt. Für die kleinen Sünden meiner Kindheit hatte er mir die Absolution erteilt, die großen Sünden meiner Jugend hatte ich ihm nicht gebeichtet, um seine lüsternen Fragen nach unkeuschen Dingen nicht mit delikaten Einzelheiten beantworten zu müssen. Ich hatte ihm die sinnliche Anregung seiner Phantasie versagt, obwohl er mir mit dem Fegefeuer gedroht hatte. Er mußte sich an mich erinnern. Ich fragte ihn geradezu nach Felicine Casanova.
Ein kaum merkliches Zucken der trüben Greisenaugen. Der Abbé schüttelte abweisend den Kopf: »Sie müssen sich irren, Madame. Ich kenne die Familie Casanova.« Er sagte bestimmt: »Eine Felicine hat es nie gegeben.« Ich stand ihm leibhaftig gegenüber, und er, der mir das Kreuz mit Weihwasser auf die Stirne gezeichnet hatte, hatte die Stirn, mir zu sagen, daß ich nie existiert hatte. War er schon so alt, daß er nicht mehr wußte, was er sagte? Oder war die weltliche Macht, die ihn zwang, mich zu verleugnen, stärker als das Gebot Gottes: Du sollst nicht lügen?