Bővebb ismertető
Aloys Behler
1982 oder:
Nie wieder Fußball?
Ob er so etwas schon mal gesehen habe, fragte der Fernseh-Moderator den Altbundestrainer. Der schüttelte in mühsam beherrschter Verlegenheit sein Haupt. Nein, dergleichen hatte kein Bundestrainer und kein Mensch auf der Welt jemals zuvor gesehen. Wie da zwei Fußball-Mannschaften händchenhaltend miteinander kombinierten, wie sie trickreich und nahezu unbehindert den jeweils gegnerischen Strafraum mit ihrer Anwesenheit verschonten und wie sich doch immer wieder einer fand, der, wenn es denn unvermeidlich war, an der Mittellinie den Ball höflich ein bißchen bewegte - das war einmalig, und deshalb war es an sich schon wieder sehenswert.
Die Leser werden sich dunkel an dieses denkwürdigste Ereignis des Sportjahres 1982 erinnern. Die Rede ist vom Weltmeisterschafts-Schauspiel zwischen Deutschland und Österreich im spanischen Gijon, wo inzwischen im Stadion entgegen ersten Befürchtungen wieder etwas Gras über die Sache gewachsen sein soll, wenn auch gewiß nicht genug. Wetten, daß: Irgendwann werden uns die Fernsehanstalten diesen Film noch einmal vorführen, zu Silvester oder so, und dann werden wir uns auf die Schenkel schlagen. Nein, sowas.
Aber vergessen wir darüber nicht: Viele treue Fußballfreunde fanden sich nach dieser Alptraumvorstellung vor den Trümmern ihrer Illusionen wieder — zornig, wütend, bitterböse, rasend und ratlos. Zeitungsredaktionen wurden mit Anrufen bestürmt: Nun sei es, forderte König Fußballs Anhang voll Verzweiflung, aber endlich an der Zeit, mit dem Hammer dreinzuschlagen. Und immer wieder das Versprechen: Nie wieder, nie wieder werde man sich ein Fußballspiel anschauen
Da hätte man doch gerne mal zu Jupp Derwall oder Paul Breitner weiterverbunden. Doch in der deutschen Delegation in Spanien nahmen sie ja lieber Zuflucht zu dem schönen Selbstbetrug, die Medien, die bösen, hätten die Leute wild gemacht. Aber die Leute hatten selber Augen, zu sehen.
Es gibt eine erfreuliche Erkenntnis aus dieser im übrigen ja wenig erfreulichen Fußball-Weltmeisterschaft: Die Leute wollen gar keine Siege um jeden Preis. Das hatte sich wohl noch nicht genug herumgesprochen, und deswegen ist der Irrtum, in dem sich sowohl der große Vorsitzende als auch der Bundestrainer und die Spieler befanden, als sie sich mit der Floskel „Hauptsache weiter — im nächsten Spiel ist alles vergessen" aus dem Schlamassel zu winden versuchten, vielleicht verzeihlich. Wir haben alle dazugelernt bei dieser Weltmeisterschaft. Daß zum Auftakt der neuen Bundesligasaison vielleicht deshalb ein paar tausend Zuschauer weniger als in den Budgets kalkuliert durch die Stadiontore kamen, kann man freilich nur vermuten.
Nein, die Leute wollen nicht den Sieg um jeden Preis. Sie wollen schönen Fußball. Und so hat es am Ende gewiß auch kein besonnener Freund des Fußballs in der Bundesrepublik bedauert, daß die Mannschaft des DFB das Endspiel, das sie schließlich auf wunderbare Weise tatsächlich noch erreichte, gegen Italien verlor. Das hat nichts zu tun mit Nestbeschmutzung oder Vaterlandsverrat, das ist eine schlichte Feststellung jenseits aller Ereiferung: Es ist gut so, daß diese Mannschaft nicht gewonnen hat. Gut für sie selber, gut für die Deutschen, gut fürs allgemeine Wohlbefinden. Dieses Titels, wenn sie ihn am Ende noch gewonnen hätten (was ja objektiv wirklich nicht unmöglich war) wären Jupp Derwall und seine Spieler niemals froh geworden. Auf diese Weltmeister hätte man, nach allem, was vorgefallen war, vier Jahre lang mit Fingern gezeigt. So bleibt ihnen nun jedenfalls jener Rest an Sympathie, den man im Sport immer den Geschlagenen entgegenzubringen pflegt.
Man darf wohl unterstellen: Mit Vergnügen haben sie den Buhmann bestimmt nicht gespielt; sie waren selber unglücklich mit dieser Rolle, und daß sie da hineingerieten, hatte wohl mehr mit der psychischen als der physischen Verfassung der Mannschaft zu tun.
Sie waren, so vermutete ein Psychologe, der sich im Fußball auskennt, ihrer Sache und ihres Könnens von Anfang an viel weniger sicher, als sie nach außen hin taten und tönten. Die Erfahrung des Algerienspiels war ein Schock, die anschließende Kritik war um so schmerzlicher, je treffender sie war. Denn nichts verträgt der Mensch bekanntlich schlechter als die Wahrheit.
Die Psyche eines Mannes wie Paul Breitner, um den herum der Bundestrainer seine Mannschaft für dieses WM-Turnier formierte, ist offensichtlich weit weniger robust, als die oftmals grimmige Miene glauben machen will. Das hatte man gelegentlich schon vermuten können, in Spanien wurde dies ganz offenkundig. „Das ist mir sch .egal!" sagte Paul Breitner bei jeder passenden Gelegenheit. Hinter markigen Sprüchen versteckte er, den man für das Schicksal der Nationalmannschaft fast so verantwortüch machte wie den Bundestrainer, obwohl er nicht ihr Kapitän war, seine verwundete Seele.
Sie legten sich ihre Dolchstoßlegende zurecht, als auch nach bemühten Besserungsversuchen die sonst so selbstverständlichen Streicheleinheiten der Kritik ausblieben. Nach dem Spiel gegen Frankreich gab Paul Breitner dem Korrespondenten der Deutschen Presseagentur auf eine entsprechende Frage eine Antwort, die Aufschluß gibt über die Verfassung, in der sich der Mann und die Mannschaft, deren Wortführer und Schlüsselfigur er war, befunden haben müssen. „Das sind Leute", schimpfte Paul Breitner, „die uns den Erfolg neiden, die nicht damit fertig werden, daß wir so weit gekommen sind. Und die sollen sich in den Arsch beißen, wirklich in den Arsch beißen "
So spricht keiner, der von gesundem Selbstbewußtsein erfüllt ist; so spricht einer, der sich mit dem Rücken an der Wand sieht. Da schlug Paul Breitner in Notwehr verbal um sich, schier verzweifelt um die Anerkennung ringend, die er für sich und seine Lei-